Betreff: Tütenhollis Seemannsgarn
Wo wir gerade dabei sind! Wer mir schreiben kann, wie der Name Tütenholli entstanden ist, dem sende ich eine große Tüte Hollis Echte zu! Aber mit Tüten hat datt nix to dohn.
Die Sonne spiegelte sich im Hafenbecken von Wilhelmshaven. Das nagelneue Boot lag am Steg, und der 8 Zylinder brabbelte still vor sich hin. Plötzlich ein pfeifender Ton über unseren Köpfen, und drei Schwäne zogen über den Hafen hinweg zum Banter See. Die Jungfernfahrt war angesagt und mein Freund Dieter und ich betankten das Boot. 210 Liter Benzin mußten in Kanistern herangeschleppt werden.
Das Boot war voll und so kam es, daß Dieter sagte: Wir
könnten doch 'mal eben durch die Deichbrücke und dann ein Stückchen
den Ems-Jade-Kanal hochfahren!
Tolle Idee. Die Brücke wurde über
UKW Kanal 11 angesprochen und aufgemacht. Jetzt waren wir im
Handelshafen. Hier liegen auch die alten ausgemusterten Schnellboote
der Marine, aber auch große Handelsschiffe, die Stahl oder Schrott
laden; und auch halbfertige Schlepper, die hier in der Werft gebaut
werden, sind hier zu bewundern. Wir waren genau in diesem Revier, wo
die Kaimauern die Wellen so schön weiterleiten und immer wieder
zurückwerfen. Darum ist die Höchstgeschwindigkeit auf 6 Kmh
begrenzt. Für uns nicht abzulesen, da unser Staudruckmesser erst ab
10 Knoten etwas ausschlägt. Drei oder vier Knoten? - Da rührt sich
gar nichts! -
Hier ist keine Menschenseele
, sagte Dieter. Drück' den
Hebel doch 'mal etwas weiter durch!
Ich sah mich um, konnte
niemanden erspähen und legte den Gashebel ganz sinnig auf den Tisch.
260 PS brüllten los und das Boot sprang wie eine Raubkatze aus dem
Teich. Mit 40 Knoten (75 km/h) flogen wir durch die Stadt! Boje, Boje,
Leuchtturm! Boje, Boje, Leuchtturm! Dieter sagte: Da vorne macht
das Hafenbecken eine Biegung, besser, wenn wir etwas langsamer
fahren!
Wie im Fahrstuhl bremste das Boot ab und tauchte etwa
einen Meter ins Wasser hinab. Dieter sagte noch: Doll, wie der so
abbremst!
Vor dem Boot tat sich eine riesige Bugwelle auf, die
steuerbord und backbord über die Kaimauern rollte. Als wir das Boot
drehten, hörten wir aufgeregte Rufe einer älteren Dame, die sich auf
dem Ems-Jade-Wanderweg nasse Füße geholt hatte; ein Stückchen
weiter sprang ein Angler aus dem Gebüsch heraus, schimpfte wie ein
Rohrspatz und wirbelte dabei mit seinem Eimer durch die Gegend. Naja,
es war ja Hochsommer.
Er meinte uns gar nicht, seine Rufe galten vielmehr einer durch die Kurve kommenden Rudergruppe, die ohne es zu ahnen, rückwärts in ihr Verderben ruderte.
Es waren sieben Achter, die nacheinander durch die Kurve kamen.
Auch die Rufe konnten sie nicht aufhalten. Den Blick nach Achtern
gewandt, paddelten sie direkt auf eine Wasserwand zu. Als ich die
Ruderer bemerkte, war der erste schon weg. Der zweite nahm gerade die
Ruder hoch und schon schauten nur noch Paddel aus dem Wasser, der Rest
war weg. Die anderen 5 Boote kenterten teilweise bevor die Welle sie
erreichte. Es wurde laut im Hafen, ungefähr so, als wenn die 3.
Klasse Pause hat. Manchmal glaubte ich sogar schlimme Worte zu hören,
allerdings war die Aussprache sehr verwässert. Nun ja, die Welle war
weg, die Ruderer naß und wir machten uns ganz heimlich aus dem Staub.
Am nächsten Tag erzählte uns Uwe, der auf der Voss-Werft die Motoren
wartet, eine tolle Geschichte: Habt ihr schon gehört? Gestern sind
hier 50 Mann von einem Motorboot überfahren worden!
Anschließend
bekamen wir von Helmut, der sein Boot auch bei uns am Steg liegen hat,
zu hören: Wart ihr das etwa gestern, die da den Kanuclub versenkt
haben?
Das dollste Ding hörten wir von Paule, der seinen alten
Rattendampfer täglich zweimal repariert: Hallo Jungs, wißt ihr
schon das Neueste? Hier hat doch gestern tatsächlich ein Angler mit
Dynamit geangelt; dabei hat es eine fünf Meter hohe Welle gegeben,
die 12 Ruderboote verschlungen und eine alte Dame fast bis in die
Stadt gespült hat.
Mast- und Schotbruch ...
Rächtzschreipfähler (c) 1995 by Holger Ehrling